Interview mit Christian Weiss

Sämtliche Neuprägungen eines Jahres schenkt die Swissmint zur Vervollständigung des Münzkabinetts dem Schweizerischen Nationalmuseum. Wir stellen Ihnen Christian Weiss, den Kurator Numismatik & Siegel am Landesmuseum, vor.

Wie sind Sie zur Numismatik und zum Landesmuseum gekommen?
Nachdem ich im Studium von Biologie auf Geschichte und Archäologie gewechselt habe, wollte ich als Student unbedingt an der Lehrgrabung der Universität Zürich auf dem Monte Iato bei Palermo teilnehmen. Bedingung meines damaligen Professors: Numismatik lernen und den freiwerdenden Posten des Fundnumismatikers übernehmen. Diese Bedingung ist sicherlich der Ausgangspunkt meiner Faszination für die Numismatik. Auf dem Monte Iato stellte ich fest, wie spannend Numismatik ist, und besuchte nach meiner Rückkehr alle Lehrveranstaltungen, die auf Numismatik ausgerichtet waren, und arbeitete zudem während meines Studiums im Münzkabinett Winterthur.

Nach meinem Studium nahm ich meine Dissertation in Angriff und arbeitete in mehreren Museen, wie z.B. dem Historischen und Völkerkundemuseum St. Gallen oder dem Historischen Museum Basel. Ich trat der Schweizerischen Numismatischen Gesellschaft sowie der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Fundmünzen bei. Nach meiner Arbeit am Historischen Museum Basel folgte Ende 2011 eine Festanstellung als Fundnumismatiker beim Inventar der Fundmünzen der Schweiz (IFS), bei der Kantonsarchäologie Solothurn und beim Archäologischen Dienst Bern. Nebenher unterrichte ich bis heute an der Universität Bern und bei Bedarf auch an der Universität Zürich.

2016 verteidigte ich meine Dissertation zu den mittelalterlichen Fundmünzen und Gewichten vom Monte Iato und bewarb mich für die Nachfolge meiner Vorgängerin Hortensia von Roten als Kurator des Münzkabinetts am Schweizerischen Nationalmuseum.

 

Das Schweizerische Nationalmuseum hat eine der grössten Münzsammlungen der Schweiz. Was ist die Aufgabe der Numismatik hier im Nationalmuseum?
Ich wage sogar zu behaupten, dass es sich bei dieser Münzsammlung um die grösste Sammlung der Schweiz handelt. Unsere Aufgabe ist es, die Kulturgeschichte der Schweiz in Form von Objekten möglichst gut zu dokumentieren.

Wir dokumentieren die gesamte schweizerische Münzprägung von den Kelten bis in die Moderne, wir sammeln gemäss unserem Sammlungskonzept Objekte, die einen direkten Bezug zur Schweiz haben, wir rekonstruieren anhand von Münzen – aber natürlich auch anderen Objekten – Geschichte, und wir bilden Studierende im Fachgebiet der wissenschaftlichen Numismatik aus. Ausserdem entwickeln wir Ausstellungen und wirken bei der Konzeption anderer Ausstellungen unterstützend mit.

«Ich wage sogar zu behaupten, dass es sich bei der Münzsammlung im Landesmuseum um die grösste Sammlung der Schweiz handelt.»

Wissenschaftliche Numismatik? Wie definieren Sie diesen Begriff?
Umgangssprachlich wird auch das Sammeln und Handeln von Münzen als Numismatik bezeichnet. Ich spreche daher gerne von wissenschaftlicher Numismatik, um Missverständnisse zu vermeiden. Wir versuchen ausgehend von den uns zur Verfügung stehenden Münzen möglichst viel Wissen zu erarbeiten und zu erschliessen. Dabei kann es sich um einzelne Aspekte wie die Geldgeschichte, die Wirtschaftsgeschichte oder die öffentliche Geschichte handeln. Wir untersuchen dabei, was Geld für den Menschen, für die Herrschenden und die Gesellschaft bedeutete. Wenn wir wissen, welches Geld wo gegolten hat, können wir Fragen über die Handelsbeziehungen, über das Miteinander und die damaligen Strukturen beantworten.

Diese Fragen sind für mich spannender als das Münzensammeln an sich. Und doch ist das Münzensammeln eng mit der wissenschaftlichen Numismatik verbunden. Wir benötigen genügend Objekte, die wir zur Dokumentation heranziehen können. Münzensammeln ist sozusagen Grundvoraussetzung für die wissenschaftliche Numismatik.

 

Was macht ein Kurator der Numismatik?
Am Landesmuseum bin ich beauftragt, die Sammlung Numismatik & Siegel zu kuratieren, zu definieren, was wir ergänzen wollen und was es noch zu erforschen gibt. Die Idee ist, dass wir die Informationen, welche die Sammlungsobjekte zur Geschichte beitragen können, aufbereiten und vermitteln. Zu meinen Aufgaben gehört auch die Digitalisierung unserer Sammlung. Ausserdem organisiere ich Ausstellungen und unterstütze andere Fachbereiche mit numismatischen Objekten, die helfen können, das Thema einer Ausstellung zu vermitteln. Sehr spannend ist der Austausch sowohl mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern als auch mit der breiten Bevölkerung. Für beide sind wir Ansprechpartner zu Fragen über Münzen und Geldgeschichte. Ich unterstütze die Bibliothek des Schweizerischen Nationalmuseums bei Neuanschaffungen mit dem Ziel, dass die wohl beste numismatische Bibliothek in der Schweiz auch in Zukunft relevant ist. Zudem berate ich Museen, die zwar einen numismatischen Bestand, aber keine hauseigene numismatische Abteilung haben, und stehe Zoll- oder Strafver­folgungsbehörden für Expertisen zur Verfügung. Für Schätzungen müssen wir aber auf den Münzhandel verweisen, solche nimmt das Schweizerische Nationalmuseum grundsätzlich nicht vor.

 

«Persönlich halte ich Münzen für interessant, die erst durch ihre Geschichte spannend werden.»

 

 

Wie wichtig sind numismatische Exponate?
Numismatische Objekte sind in der Regel Teil einer Gesamtausstellung. Sie kommen zum Einsatz, wenn sie dem Thema helfen. Lassen Sie mich die Rolle numismatischer Exponate anhand zweier Beispiele aufzeigen:

– In der Dauerausstellung über die Schweizer Geschichte haben wir 1-Franken-Stücke aneinander aufgereiht, eines pro Prägejahr. Dieses Exponat steht für die Geschichte der Schweiz und dieser Münze. Der Franken ist weltweit die längste Fortsetzungsgeschichte einer modernen Münzprägung. Seit der Erstprägung wurden lediglich kleinste Anpassungen durchgeführt, sonst blieb die Münze unverändert. Und natürlich ist diese Münze Symbol der Schweiz und unterstreicht den Nimbus des starken Schweizer Frankens.

– In der Ausstellung «La Suisse. C’est quoi?», die 2022 als Dauerausstellung im Château de Prangins eröffnet worden ist, haben wir die von der Swissmint geprägte Sondermünze «50 Jahre Schweizer Frauenstimmrecht» kurz nach der Prägung in die Ausstellung aufgenommen. Mit dieser Sondermünze konnten wir den Besuchern das Thema Frauenstimmrecht in einer anderen Materialität aufzeigen.

 

Von der Swissmint erhalten Sie laufend neue Münzen. Welche anderen Quellen haben Sie, um Ihre Sammlung zu ergänzen?
Neben den Münzen der Swissmint erhalten wir Schenkungen und erwerben gelegentlich Objekte, die uns zum Kauf angeboten werden. Sowohl bei den Schenkungen als auch bei den Zukäufen prüfen wir die angebotenen Objekte sehr genau. Bei den Schenkungen prüfen wir, ob die Objekte in unser Sammlungskonzept passen oder ob wir diese schon besitzen. Unser Ziel ist es nicht, so viel wie möglich zu horten. Wenn uns eine Schenkung nicht hilft, Schweizer Kulturgeschichte in allen Facetten möglichst gut darzulegen, macht sie weder aus unserer noch aus der Sicht der Schenkenden Sinn. Bei möglichen Zukäufen haben wir eine grosse Sorgfaltspflicht. Wir prüfen nicht nur, ob die Objekte in unsere Sammlung passen, wir prüfen auch, ob der Preis angemessen und ob die Provenienz sicher ist.

Sind Sie Sammler?
Nein, ich bin kein Sammler. Als Kind habe ich ganz kurz Schweppes-Dosen gesammelt, wahrscheinlich mehr, um meinem Bruder nachzueifern, der damals Cola-Dosen sammelte. Sammeln, um zu sammeln sagt mir persönlich nichts. Mir geht es darum, wie kann ich mehr über etwas erfahren, was sagt das aus. Dazu muss ich lediglich den Zugang zu den Objekten haben, sie aber nicht persönlich besitzen. Aber nur, weil ich privat kein Sammler bin, heisst das nicht, dass mich das Sammeln nicht fasziniert: Wir haben in den Beständen des Schweizerischen Nationalmuseums auch Sammlungen, welche von Privatpersonen über den Verlauf ihres Lebens angesammelt worden sind, bevor sie dem Museum geschenkt worden sind. Die Münzen aus diesen Sammlungen verraten nicht nur viel über ihre eigene Geschichte – man kann aus der Sammlung auch viel über die damit verbundenen Gedanken des Sammlers oder der Sammlerin erfahren.

Welche Schweizer Münzen gefallen Ihnen am besten?
Persönlich halte ich Münzen für interessant, die erst durch ihre Geschichte spannend werden. Es kann sich dabei um Ausnahmeerscheinungen in der Münzprägung handeln oder um Münzen, die wichtige Informationen zur Geschichte vermitteln können.

– Ausnahmeerscheinungen in der Münzprägung sind Münzen aufgrund von technischen Innovationen oder politischen Ereignissen, aber auch weil sie vielleicht mit anderen Materialien oder Produktionsverfahren geprägt worden sind. Meist benötigen die Spezialisten etwas Zeit, bis die gewohnte Qualität erzeugt werden kann. Diese in diesen Übergangsstadien entstandenen Münzen finde ich sehr spannend.

– Münzen, die wichtige Informationen zur Geschichte vermitteln können, sind Münzen, die auf den ersten Blick oft unscheinbar, teilweise auch wenig attraktiv erscheinen. Mit dem Wissen, welches diese Münzen uns zur Geschichte vermitteln können. wird eine solche Münze hingegen faszinierend, teilweise auch einzigartig.

Drei Münzen, bei denen das Wissen um die Geschichte den Ausschlag gibt

Drei Münzen, bei denen das Wissen um die Geschichte den Ausschlag gibt

Inv. M-6678
Merowingerreich, Theuderich II. (596–613), Tremissis o. J. (um 600)

Münzstätte: Vindonissa (Windisch)
Vorderseite: VINDONISSE FITVR; Büste mit Diadem nach rechts
Rückseite: TVTA MONE[TA]R[I]VS; Kreuz auf Dreieck, darunter Kugel
Sonstiges: Ø 11,0 mm. 1,22 g. 330°. Gold, geprägt.

Dieser Tremissis weist nach, dass in Vindonissa auch um 600 n. Chr. noch ein regionales Zentrum mit einer eigenen Münzprägung existierte. Es ist ein wichtiger Mosaikstein in der nur lückenhaft überlieferten Geschichte der frühmittelalterlichen Herrschafts­verwaltung auf dem Gebiet der heutigen Schweiz.

 

Inv. M-13456
Schwyz, Land. Einseitiger Angster o. J. (1506–1529)

Münzstätte: Bellinzona?
Vorderseite: S = V; Büste des heiligen Martin von vorn
Sonstiges: Ø 14,0 mm. 0,28 g. Billon, geprägt.

Schwyz hat lange über keine eigene Münzprägung verfügt. In der gemeinsamen Herrschaft Bellinzona kam Schwyz zusammen mit Uri und Nidwalden zu ersten Münzen, vorerst noch in Gemeinschaft geprägt. Nach Widerstand seitens der Tagsatzung vom März 1506 gegen die neuen Münzen stieg Schwyz aus der Gemeinschaftsprägung aus und prägte in eigenem Namen. Der einseitig geprägte Angster, an dem gegenüber den bislang gemeinsam geprägten Angstern lediglich das S = M für Sankt-Martin zu S = V für Svit(ensis) (= Schwyz(er)) abgeändert worden ist, ist sicherlich für den Münzumlauf nördlich der Alpen bestimmt gewesen. Da aber Schwyz dort über keine eigene Münzstätte verfügte, sind diese ersten Münzen des Landes Schwyz wohl auch noch in Bellinzona geprägt worden.

Inv. M-4233
Herzogtum Schwaben, Hoftagsprägung, Kaiser Konrad II. (1027–1039), Denar o. J. (1030–1034)

Münzstätte: Zürich
Vorderseite: + CHVNRADVS IMPER; Salierkrone
Rückseite: + TVREGVM; Zürcher Pfalzgebäude in Südansicht
Sonstiges: Ø 19,9 mm. 0,63 g. 315°. Silber, geprägt.

Der Denar Kaiser Konrads II. zeigt auf der Rückseite ein weltliches Gebäude, das vermutlich mit dem jüngeren Pfalzgebäude auf dem Lindenhof in Zürich gleichzusetzen ist. Der Denar mit Krone und repräsentativem Gebäude ist der Inbegriff einer Zurschaustellung von Macht durch den Kaiser, an einem Ort, der vormals unter Herzog Ernst II. gegen das Reich rebelliert hatte.

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